40°, alles dreht sich

40°, alles dreht sich

40°C, alles dreht sich. Die Erde bebt. Nichts steht still. Zuerst ein leichtes Schaukeln, dann dreht sich alles. Die Welt steht Kopf, seitwärts und ist dann doch wieder im Lot. Ich sitze vor der Waschmaschine, kurzzeitig in ihr und am Ende vielleicht doch nur drauf. Vor lauter Drehungen weiß ich kaum noch, wo ich bin. Ich schau mich um, wo bin ich? Die Waschmaschine hat mich in eine andere, mir unbekannte Zeit katapultiert. Auf den Regalen stehen Waschmittel aus Zeiten, die mir unbekannt sind – sie wirken alt und vergilbt. Braune Tapete, verziert mit etwas, das auf den ersten Blick wie eine Mischung aus Pik und Kreuz eines alten Kartenspiel erscheint, tut ihr übriges. Alles um mich herum wirkt, als wäre ich in einer früheren Zeit gelandet, eine Zeitwaschmaschine.
Ich setze mich auf einen Stuhl, meine Sinne sammeln wollend. Immer noch nicht sicher ob ich in einer anderen Zeit gelandet bin. Das ganze Ambiente wirkt vergangen, etwas nostalgisch und hat gleichzeitig etwas Beruhigendes an sich. Eine Dame mittleren Alters bringt mir einen Tee. Dankend nehme ich ihn entgegen und genieße die Umgarnung, welche mir der geheimnisvolle Ort zugutekommen lässt. Ich versuche mich an alte Filme zu erinnern, an den Service, den man in alten Zeiten noch gelebt hat – Parallelen lassen sich nicht leugnen. Zweifel an der Zeit, in der ich mich befinde – ob in einer mir bekannten oder einer vorhergegangenen – Zweifel machen sich in mir breit. Alles ist so verwirrend, alles nur ein paar Drehungen mit der Waschmaschine her und dennoch weiß ich nicht, was ich glauben will, was ich glauben kann und wo ich bin. Parallel zu der Verwirrung, die in meinen Kopf herrscht, fühlt sich mein Körper frei und entspannt, völlig losgelöst von der Erde – zwei Gegensätze, die nicht zusammen zu passen scheinen. Um der Zeitlosigkeit, die ich fühle, Raum zu lassen, lehne ich mich auf meinem Stuhl zurück und lasse es zu, dass sich die Zeitlosigkeit bis in meine Fingerspitzen ausbreitet. Erneut versuche ich meine Gedanken, meine Gefühle und Eindrücke zu ordnen. Ich versuche meine Entspanntheit, meine Belanglosigkeit auf meinen Kopf auszuweiten, der sich bis jetzt immer noch ein wenig sträubt, nicht zu denken, sondern stattdessen einfach zu genießen.

Ich schaue mich um, versunken in meiner eigenen Welt und doch in der Welt um mich herum. Innerlich ruhig schwirren die Menschen um mich. Kunden betreten den Laden, werden freundlich in Empfang genommen, stopfen unter fachkundiger Beratung Wäsche in die Waschmaschinen, füllen Waschmittel ein und setzen sich hin. Versinken vielleicht wie ich in ein Gefühl ewiger Ruhe. Das Einzige, was mich in Bewegung hält, ist die Waschmaschine. Runde um Runde, die sie dreht, überträgt sie ihre Schwingungen auf den Boden, auf dem der Stuhl steht, auf dem ich sitze.
Meine Wäsche ist gewaschen – die Bedienung reißt mich aus meinen Gedanken und auch etwas aus meiner Ruhe. Ich hole meine Wäsche aus der Maschine und stopfe sie in den etwas zu kleinen Wäschekorb – ein riesiger Stapel an Wäsche, der getrocknet werden will. Nicht alles ist für den Trockner geeignet, manches benötigt unterschiedliche Temperaturen. Eine komplizierte Welt, mit der ich mich noch nicht so sehr auseinandergesetzt habe. Ob das in der Zukunft wohl auch so kompliziert sein wird oder liegt es an der vergangenen Zeit, in der ich mich befinde? Ich staple die Wäsche in zwei Trockner, lasse manches Weg – Start! Meine Wäsche dreht sich wieder. Gleichzeitig kommt die Ruhe zurück und ich kann die Schwingungen des Bodens wieder in mich aufnehmen. Den Kopf in den Nacken legend schaue ich kopfüber die Waschmaschine an, die bis gerade eben noch meine Wäsche gestreichelt und gewiegt hat.
In der Zeitlosigkeit, die meinen Verstand, mein Gehirn, endlich mit in ihre Fänge genommen hat, scheint es mir, als würde meine innere Ruhe in Relation zu der Bewegung meiner Wäsche stehen. Der Gedanke das Durcheinander, den Trubel und die Aktionen meines Alltages auf meine Wäsche übertragen zu können und nur noch innere Ruhe zurückzulassen, lässt meine Mundwinkel in Richtung Augen zucken und ein Schmunzeln macht sich auf meinem Gesicht breit.

Ich Spüre, wie sich das Ende nähert, die Trockner werden bald fertig sein. Eine Unruhe, den richtigen Augenblick zu verpassen, macht sich in mir breit. Ich stehe auf, um nach der Wäsche in den Trocknern zu sehen. Sie stehen zu weit weg, um sie von meinem Platz, meinem Ort der Ruhe, zu sehen.
Ich musste bemerken, dass meine Unruhe unberechtigt war. Die Wäsche drehte sich noch. Ich beobachte sie einen Augenblick, um dann auf den schwingenden Stuhl zurückzukehren.

Die Trockner haben gestoppt. Ich öffne die Türen und betaste die Wäsche. Die Bettdecken sind noch nicht ganz trocken. Ich packe die Wäsche so ein, dass die trockene nicht wieder feucht wird und werfe mir die Tasche über die Schulter. Schwer beladen öffne ich die Tür und verlasse unter einem freundlich verabschiedenden „Auf Wiedersehen!“ den Salon. Gemischte Gefühle machen sich in mir breit – zurückkatapultiert in das Heute und Jetzt. Ohne weiches Wiegen und Schaukeln, ohne auf dem Kopf zu stehen, einfach mit einem Schritt – BÄHM!

Inspiriert von Freddy Leck sein Waschsalon